Ich habe einen gesehen, ach was einen: drei schwarze Schwäne und ein paar graue dazu. Das erinnerte mich an das Buch von Nassim Nicholas Taleb, das mich seit vielen Jahren immer wieder fasziniert. Taleb beschreibt das Phänomen sehr unwahrscheinlicher, unbekannter und unvorhersehbarer Ereignisse mit dem Bild des schwarzen Schwans:

Vor der Entdeckung Australiens glaubte man, dass Schwäne weiß sind. Jeder weitere weiße Schwan bestätigte dieses empirische Wissen, jahrhundertelang, und es wurde durch einen einzigen schwarzen Schwan widerlegt. 

Einige wenige Schwarze Schwäne, also diese seltenen unerwarteten Ereignisse, lassen den Lauf unserer Geschichte erklären. Er nennt einige Beispiele. Corona nicht, das Buch ist von 2007.

Daran denke ich, als wir im Garten von Schloss Ambras bei Innsbruck die schwarzen Schwäne im Garten (und am Auto einen Strafzettel) entdecken, nachdem wir die Kunst- und Wunderkammer von Erzherzog Ferdinand II. besichtigt haben. 

Diese schwarzen Schwäne bzw. der Schwarze Schwan als Metapher passen ziemlich gut zum Konzept dieser Kunst- und Wunderkammern: beide handeln von seltenen Dingen, beide bilden sie Randbereiche der Wahrscheinlichkeit ab, die außerhalb unseres gewohnten Blickfeldes liegen, beide machen uns auf Dinge aufmerksam, die wir allein schon deshalb interessant finden, weil sie ungewöhnlich sind.

Die Kunst- und Wunderkammer auf Schloss Ambras ist dabei ziemlich besonders:

  • Erzherzog Ferdinand II. (1529 – 1595) schuf mit ihr eine der größten Sammlungen seiner Zeit, und ließ dafür eigens einen Gebäudekomplex erbauen – er gilt als Vorläufer des modernen Museums.
  • Er strukturierte seine Sammlung nach Materialien (und nicht nach Farben oder Funktion): Ein Wandschrank zeigte Gegenstände aus Gold und in Gold gefasst, andere Gegenstände aus Silber, Glas, Korallen, Holz oder geistige Dinge wie Musik und Instrumente. 
  • Ferdinand förderte das Kunsthandwerk und war selbst künstlerisch tätig: in seiner Sammlung ist auch ein von ihm selbst geblasenes Glas zu bewundern.

Das Kuriose ist: Ferdinands Situation als Sammler basiert selbst auf einem Schwarzen Schwan.

Ob ihm das bewusst war? Dieser Schwarze Schwan ermöglichte sowohl den finanziellen Background als auch sein herrscherliches Netzwerk – sein Schwager Philipp II. war der spanischer König, und über ihn konnte er einige Objekte erwerben, die durch die spanischen Entdeckertouren des noch wenig entdeckten Amerikas nach Europa gelangten.

Dieser Schwarze Schwan zeigte seine enorme Wirkung schon zur Zeit seines Urgroßvaters, Kaiser Maximilians I.: Es handelt sich um die Entdeckung und Förderung der Silbervorkommen im Tiroler Schwaz. Zeitweise wurden in Schwaz rund 85% des weltweiten Silberabbaus gefördert, der kleine Ort wurde nach Wien zur zweitgrößten Stadt im Reich. Kaiser Maximilian hatte 1490 die Regentschaft in Oberösterreichs übernommen, und die Erträge aus den Silberbergwerken trugen erheblich dazu bei, Kriege zu finanzieren, die berühmte österreichische Heiratspolitik zu etablieren und durch Werbe- und Bestechungsgelder seinem Enkel Karl V. zur Königswahl zu verhelfen. Das Haus Habsburg hätte ohne diese Silberförderung bei weitem nicht diese Bedeutung erlangt. Zumindest für die politischen Verhandlungspartner und Gegner waren diese zusätzlichen finanziellen Mittel Schwarze Schwäne: unbekannte, unwahrscheinliche Ereignisse mit enormer Tragweite.

Laut Taleb kann man mit Unsicherheit, also der Möglichkeit Schwarzer Schwäne, auf zweierlei Weise umgehen:

  • Entweder man häuft immer mehr Wissen an, um die Welt noch besser zu verstehen und noch bessere Vorhersagen zu treffen (was in der Regel nichts bringt),
  • oder man konzentriert sich darauf, möglichst wenig Schaden durch Dinge zu erleiden, die man nicht versteht, und Chancen zu ergreifen. 

Die Fugger verstanden es, solche Chancen zu erkennen und zu nutzen. Sie erhielten als Gegenleistung zur Kreditgewährung Abbaurechte in den Bergwerken, und v.a nutzten sie ihr Organisations- und Verwaltungswissen, um Wissen und Innovationen rund um den Erzabbau zu verbreiten und gewinnbringend anzuwenden.

Hätte der wildgewordene Stier der legendären Magd Kundleyn nicht diesen dunkel leuchtenden Stein entdeckt, der auf das Silbervorkommen hinwies, gäbe es weder Silberbergwerk, noch Schloss Ambras, vielleicht nicht einmal mehr Österreich. Wer weiß, was es stattdessen gegeben hätte? In Tirol ist man sich sicher: Es ist besser so, wie es ist. 

Welcher Schwarze Schwan hatte für Sie die größte Auswirkung? 

Herzlichen Dank an Micaela Kranich für ihre unveröffentlichte Hausarbeit über die Kunst- und Wunderkammer auf Schloss Ambras und an Hary, unseren Führer durch das Silberbergwerk in Schwaz, dessen Anekdoten mich zu diesem Artikel inspirierten.

Quelle: Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse, 2018 (aktuellste 5. Auflage).