Inspiriert durch … Susan Sontag

Susan Sontag-Ausstellung in München im Literaturhaus. Faszinierende Frau. Die Hälfte ihrer Aussagen würde ich sofort unterschreiben, die andere Hälfte lehne ich grundweg ab.

Der Titel: EVERYTHING MATTERS – Alles ist wichtig, das notiert Susan Sontag mit 16 in ihr Tagebuch.  Wichtig ist für sie LESEN, SCHREIBEN, SCHAUEN, HANDELN und ÜBER-LEBEN. Diese Begriffe werden zum roten Faden der Ausstellung.

Liest mit 3 Comics (geboren 1933) und Bücher ab 6, und fortan alles, was ihr unter die Augen kommt. Wird mit 6 eingeschult und nach wenigen Tagen direkt in die 3. Klasse versetzt. Empfand das Kind-sein als Zumutung. Literatur ist der Ausweg aus dem ländlichen Nirgendwo, sie listet auf, was sie gelesen hat und was sie noch lesen will. Begeistert sich für Der Zauberberg und besucht Thomas Mann in seinem Exil in USA mit Kommilitoninnen. Da ist sie 15, und kehrt enttäuscht zurück. Aber die Liebe zur europäischen Literatur bleibt.

Nimmt mit 12 den Nachnamen des Stiefvaters an, denn Sontag klang mondäner als Rosenblatt. Susan Sontag. Sie sagt, zu diesem Zeitpunkt habe sie sich selbst erfunden.

Mit 17 heiratet sie, wird schwanger, Sohn David Rieff kommt 1952 zur Welt.

Sie studiert, Literatur, Philosophie, irgendwo steht auch: Theologie. Nimmt Lehraufträge an, unterrichtet mit 20 Englisch. Geht für ein Jahr nach Europa, Oxford und Paris.

Kommt zurück und lässt sich scheiden. Nimmt eine Stelle als Redakteurin an und zieht mit ihrem Sohn in eine Zweizimmerwohnung in New York. Zu Partys nimmt sie ihn einfach mit. Schreibt Romane, wird jedoch durch ihre Essays bekannt. Against Interpretation (1966) der erste, der im Deutschen – völlig unpassend – mit Kunst und Antikunst (1980) übersetzt wird. Ihre Idee: die Trennung zwischen Hoch- und Popkultur aufheben. Kunst sei eine sinnliche Erfahrung, sie lehnt das akademische Herausarbeiten tieferer Sinnschichten ab. Und das zu einer Zeit, als im Life-Magazine eine Tabelle veröffentlicht wird, die Alltagsvorlieben der Hoch- und Unterhaltungskultur zuordnet – unterteilt nach Kleidung, Möbel, nützlichen Objekte, Unterhaltung, Salate, Drinks, Lesen, Skulptur, Schallplatten, Spiele, Anlässe. Veröffentlicht am 11.4.1959. Denke dabei an die Ausstellung High and Low, muss nachsehen, wann diese war.

Sie schreibt über Kunst, übergreifend, beschäftigt sich besonders mit Literatur, Fotografie, Tanz, Theater, Film.

Engagiert sich in der Friedensbewegung. Besuch der Gruppe 47 in Princeton. Schreibt über das, was sie sieht. Will sich stets selbst ein Bild machen. Reist 1968 nach Nordvietnam und schreibt den Essay Trip to Hanoi. Fotografie ist für sie ein Medium, keine Kunst. Essaysammlung On Photography (1977). Sagt die Inflation der Bilder voraus. In Sarajewo inszeniert sie 1993 Samuel Becketts Warten auf Godot. Am 11. September 2001 war sie in Berlin und kritisiert den Umgang der USA mit dem Anschlag: Feige waren die Mörder nicht (2001). Weitere bekannte Essays sind veröffentlicht, unter anderen I, et cetera (1978) und The Way we live now  (1991).

Ihre Filmprojekte sind wenig erfolgreich. Bei einem Filmprojekt in Venedig lernt sie die Tänzerin Lucinda Childs kennen, sie werden ein Paar. Outen wird sie sich nie.

Erkrankt dreimal an Brustkrebs, mit 42, mit 55 und mit 71. Schreibt über Krankheit als Metapher (1978), Aids und seine Metaphern (1989) und Das Leiden anderer betrachten (2003). Sie stirbt mit 71. Beisetzung auf dem Friedhof Montparnasse in Paris.

Mich fasziniert ihre gedankliche und gelebte Unabhängigkeit. Sie lässt sich in keine Schublade schieben, nicht vereinnahmen, lehnt das traditionelle Konzept „Familie“ ab. Freiheit. In einer ihrer Listen schreibt sie, dass es im Leben nichts Erstrebenswerteres gibt als die Freiheit, sich selbst treu zu sein. Und damit ehrlich zu sich selbst.

Sie schreibt viele Listen. Interessant ihre Liste: Was ich mag … Was ich nicht mag. Beim Lesen beziehe ich ihre Antworten direkt auf mich. Andere auch? Vielleicht deshalb nur Zustimmung oder Ablehnung und nichts dazwischen. Wobei, doch: es gibt ein dazwischen. Und zwar bei den Dingen, die bei mir weder auf der Mag-ich-Liste noch auf der Mag-ich-nicht-Liste stehen würden. Die zählen bei mir nicht.

Susan Sontags Mag-ich-Liste:

Feuer – ohne Liste.
Venedig: Ja, mag ich auch.
Tequila – ohne Liste.
Sonnenuntergänge – Mag ich auch, wohl wie fast alle.
Babys mag ich auch, hat die Evolution so eingerichtet, denke ich.
Stummfilme – ohne Liste, habe erst einen gesehen.
Höhen. Hhm. Berggipfel und Hochhausaussicht vom obersten Stockwerk? Ja, mag ich auch.
Grobes Salz: wäre nie auf die Idee gekommen, das auf eine Mag-ich-Liste zu schreiben.
Zylinder – ohne Liste.
Große Langhaarhunde mag ich nicht. Wenn dann mittelgroße Hunde, und falls ich mal einen haben sollte, dann bitte mit kurzen Haaren, die haaren wohl weniger.
Schiffsmodelle. Mag ich nicht, stehen nur rum.
Zimt mag ich.
Federbetten – listenlos.
Taschenuhren sehen chic aus, stören aber. In Zeiten von Smartwatches wird die Zeit anzeigen allein zu funktionslos. Schwanke selbst zwischen „ohne Uhr“ und Smartwatch. Wobei ich meine Apple watch hauptsächlich als Eieruhr, Timer und „mein Handy klingelt“-Erinnerer nutze. Nach Taschenuhren bei Susan Sontag:
den Geruch frisch gemähten Grases. Mag ich auch.
Leinenstoff – ohne Liste. Ist ok.
Bach mag ich, vor allem im Advent.
-Treize-Möbel mag ich nicht, nur im Museum.
Sushi mag ich.
Mikroskope – völlig listenlos.
Große Räume – auch ohne Liste. Kommt drauf an. In kleinen Räumen entsteht Fantasie.
Highs. Was für highs? Keine Ahnung.
Stiefel – ohne Liste, da zu funktional – außer meine Tanya-Heath-Stiefeletten: die mag ich sehr, vor allem mit den roten Heels.
Wasser trinken mag ich auch. Vor allem, wenn ich Durst habe.
Ahornzucker. Mag ich nicht, weil ich weiß, wie ungesund es ist. Krebszellen lieben Zucker.

Ihre Liste „Was ich nicht mag“

Allein in einer Wohnung schlafen. Doch, das liebe ich. Niemand, der schnarcht, zähneknirscht, nachts aufsteht, keine knarzenden Holztreppen, quietschenden Türen, niemand, von dem ich denke, er würde jetzt denken, dass es nun endlich Zeit wäre aufzustehen. Allein in einer Wohnung schlafen ist wunderbar.
Kaltes Wetter. Mag ich auch nicht. Wird etwas besser, wenn ich mich gerade warm genug angezogen nach draußen wage und laufe. Laufen in passender Kleidung mag ich immer.
Paare. Listenlos. Menschen sind echter, wenn sie allein ohne Partner unterwegs sind.
Fußballspiele. Mag ich auch nicht. Dröger Massenkonsum.
Schwimmen. Inzwischen listenlos. Wäre früher auch auf der Mag-ich-nicht-Liste gestanden.
Sardellen – listenlos. Mag ich zwar, aber nicht zu oft.
Schnauzbärte. Mag ich nicht, aber alles rund um Haar ist derart modegetrieben, könnte sich auch ändern.
Katzen … mag ich nicht. Vielleicht aus der Ferne. Haben natürlich ihre Daseinsberechtigung, aber nicht in meiner Wohnung.
Regenschirme. Auf keiner Liste. Habe einen Knirps von Marina Abramovic, aber ich nutze Jacken und Mäntel mit Kapuze. Funktioniert auch bei Wind und bleiben nicht vergessen in einer Ecke stehen.
Fotografiert werden – mag ich auch nicht. Gute Fotos von mir mag ich aber. Susan Sontag war wohl eine der am meist-fotografierten Intellektuellen in USA. Vielleicht deshalb.
Den Geschmack von Lakritze: Widerspruch – das liebe ich.
Mir die Haare waschen (oder sie gewaschen bekommen) – absolut listenlos. Haare frisieren und trocknen mag ich nicht, deshalb habe ich eine Frisur, bei der dies schnell geht.
Eine Armbanduhr tragen – siehe oben.
Einen Vortrag halten – doch, das mag ich. Ich mag die leichte Nervosität vorher und das im Redefluss und Austausch mit dem Publikum stehen.
Zigarren mag ich auch nicht, und noch weniger abgestandener Zigarrenrauch.
Briefe schreiben. Weiß nicht. Meistens nicht, außer ich habe etwas dringendes zu sagen und wünsche mir Resonanz.
Duschen. Doch, duschen mag ich. Wassermeditation. Aus Umweltgründen meist als Mikro-Wassermeditation.
Robert Frost. Ohne Liste.
Deutsches Essen. Kann ich verstehen. Mein deutsches Essen ist Frankreich- und Italien-inspiriert, gesund, frisch und selbstgekocht. Das mag ich.

Ich mache eine dritte Kategorie auf: Was ich weder auf eine Mag-ich-Liste noch auf die Mag-ich-nicht-Liste schreiben würde:

Rouladen.
In den Spiegel schauen.
Sterben.
Abspülen.

Eine ihrer Listen gleicht einem kompletten Weltbild. Sie notiert sie in ihr Tagebuch am 23. November 1947:

Ich glaube

a) Dass es keinen persönlichen Gott und kein Leben nach dem Tod gibt

b) Dass es im Leben nichts Erstrebenswerteres gibt als die Freiheit, sich selbst treu zu sein, d.h. Ehrlichkeit

c) Dass Menschen sich allein durch ihre Intelligenz unterscheiden

d) Dass eine Handlung nur danach beurteilt werden sollte, ob sie die betreffende Person letztlich glücklich oder unglücklich macht

e) Dass es falsch ist, einem Menschen das Leben vorzuenthalten

h) Des weiteren glaube ich, dass der ideale Staat (über „g“ hinaus) ein starker zentralistischer Staat wäre, d.h. Staatliche Kontrolle über Versorgungsbetriebe, Banken, Minen + öffentliche Verkehrsmittel sowie Subventionierung der Künste, ein ausreichender Mindestlohn, Unterstützung von Behinderten und Alt(en). Staatliche Gesundheitsvorsorge für schwangere Frauen, ohne dass etwa nach ehelichen + unehelichen Kindern unterschieden wird.

Zitatende.

Diese Listen sagen viel aus über Susan Sontag, über ihre Zeit, über das Frau-Sein in den USA Mitte des 20. Jahrhunderts. Über das, was sie als Mensch, als Mutter, als Freiheitsliebende, als Wissensdurstige, als Kranke, als an der Welt Interessierte beschäftigte.

Wir schreiben auch Listen. To Do-Listen, immer wieder. Wie wäre es mal mit DEINER Mag-ich- und Mag-ich-nicht-Liste ganz im Stil von Susan Sontag? Deine persönliche Ich-glaube-Liste? Welche Liste willst du unbedingt erstellen? Und welche würde deine Welt verändern?

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