Kennen Sie Giotto?

Vermutlich kennen mehr die kleinen italienischen Leckereien zum Kaffee als deren Namenspatron Giotto di Bondone. Ferrero schreibt, sein berühmtestes Kunstwerk sei der Glockenturm des Doms in Florenz, „il Campanile di Giotto“, der auf jeder Verpackung zu sehen sei.

Für mich ist Giotto ein innovativer Künstler, der sein Handwerk und seine Kunden verstand. Wer waren seine Kunden? Wer hatte damals Geld? Giotto lebte bis 1337 – in dieser Zeit waren Kirche, Papst und Klöster wichtige Auftraggeber, und viele Themen waren religiös motiviert. Auf der Seite der weltlichen Auftraggeber standen der König von Neapel, reiche Kaufleute und – Banker.

Giotto, Geld und Kundenwünsche

Wenn Sie Florenz hören, denken Sie sicher an einen kultur-intensiven Wochenendtripp. Wenn wir 700 Jahre in der Zeit zurückgehen, würden wir anders urteilen. Florenz war damals, was New York heute ist – eine der Metropolen Europas, in der Wirtschaft und Kultur florierten – wie die Lilie des Florentiner Stadtwappens auf der Goldmünze, dem „Florin“.  Just an diesem Ort und in dieser Zeit entstanden die ersten europäischen Bankhäuser und eine ganz neue „wiedergeborene“ Kunst.

Die Bardi und die Peruzzi waren die ersten Banker Europas, und sie waren Giottos Kunden.

Die Ergebnisse dieser Kundenbeziehung sind bis heute zu besichtigen: Beide gaben bei Giotto die Ausmalung einer Kapelle in der Kirche Santa Croce in Florenz in Auftrag. Santa Croce, die Kirche zum Heiligen Kreuz, ist eine Franziskanerkirche. Die Auftraggeber waren die Franziskaner, die zum einen das Andenken an den Heiligen Franz von Assisi wahren sowie die Daseinsberechtigung ihres Ordens zeigen wollten. Da der Heilige Franz von Assisi Armut gepredigt hatte und deshalb die sogenannten Bettelorden keinen Besitz anhäufen durften, betrieben sie nichts anderes als Crowdfunding: Wer für die neue Kirche spendete, für den wurde gebetet. Wer besonders viel spendete, für den wurde viel gebetet. Damit die Ordensbrüder auch immer daran dachten, wurden die Stifter häufig in die Wandmalereien integriert.

Das Sponsoring einer Kapelle war eine Investition in die Ewigkeit und das eigene Seelenheil – und in gewisser Weise durchaus vergleichbar mit gemeinnützigen Kulturstiftungen heutiger erfolgreicher Unternehmer. Sie soll über den Tod hinauswirken.

Für Giotto bedeutete das: zwei zeitlich aufeinanderfolgende Kundenaufträge aus der gleichen Branche in direkter räumlicher Nachbarschaft (die Kapellen in Santa Croce grenzen direkt aneinander). Wie schnitt Giotto die Aufträge auf seine Kunden zu?

Eine herausragende Szene in der Bardi-Kapelle zeigt den Heiligen Franziskus beim Sultan von Kairo. Die dargestellten Menschen dieser Szene in Ägypten entsprachen nicht den gängigen Klischees. Sie verdeutlichten vielmehr eine genaue Kenntnis der Region und der dargestellten Menschen – so wie sie die Bardi als Händler und Banker hatten – und das wussten natürlich auch alle Besucher der Kirche. Wenn wir davon ausgehen, dass Giotto selbst nie in Ägypten war, so zeigte er doch auf anderem Weg den Handelsradius und damit die Bedeutung der Sponsoren-Familie.

Die Peruzzi-Kapelle hingegen macht die beiden neutestamentarischen Johannes zum Thema: den Täufer und den Evangelisten. Der Bezug ist eindeutig: Johannes der Täufer als Stadtpatron von Florenz und Taufpatron vom Heiligen Franziskus und vermutlich mit Bezug zu einem Familienmitglied namens Giovanni, der italienischen Version von „Johannes“.

Es ist anzunehmen, dass die Auftraggeber die inhaltliche Konzeption mit Giotto besprachen, er hatte also durchaus einige Zeit mit beiden Bankiers-Familien zu tun. Profitierte er von ihrem Wissen?

Giottos Investment-Tipps

Giotto besaß ein Haus nördlich von Florenz, bekam zwei lebenslange Renten – eine vom Papst, eine vom König von Neapel für seine außergewöhnliche Arbeit.

Wir wissen von Giotto, dass er Geld in der Wollindustrie anlegte. Er vermietete einen französischen Webstuhl an einen Heimarbeiter, wie eine Urkunde von 1312 belegt. Die französische Webtechnik war der neueste Schrei und in einer Stadt wie Florenz, die u.a. vom Seiden- und Textilhandel lebte, eine außergewöhnliche Geldanlage für jemanden, der nicht selbst in der Textilindustrie arbeitete.  Außerdem wissen wir, dass die Kirche Zinsen missbilligte, wohl auch deshalb, weil der Papst maßgeblich von den neuen Bankiers finanziert wurde. Aber schon damals fand man Wege, diese gesetzlichen Regelungen zu umgehen: Giotto kaufte ein Grundstück, das er seinem Verkäufer zurück verpachtete und hierfür eine Pacht erhielt. Eine umgekehrte Variante von Sale-and-lease-back.

Dass sich die Bankhäuser nicht an das Zinsverbot hielten, erklärt ihre Bestrebungen, für ihr Seelenheil in Kapellen des Bettelordens zu investieren. Denn bekanntlich geht ja eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.

Das war Individualisierung in der Luxusgüterindustrie vor 700 Jahren – eine Entwicklung, die die Unternehmensberatung Bain & Company der Branche kürzlich wieder attestierte.

Bemerkenswert ist, dass 2015 die allererste Condé Nast Luxury Conference in Florenz stattfand – im Palazzo Vecchio, nur 400 Meter entfernt von Santa Croce.

Für Giottos Kunden sollte es anders kommen. Ein weiterer Schuldner der Bardi und Peruzzi war der englische König Edward III. Er finanzierte mit den Darlehen den Krieg gegen Frankreich, und weigerte sich, das geliehene Geld zurückzuzahlen. Dies führte zur Insolvenz beider Bankhäuser. Mit einer gesponserten Kapelle und ohne Geld schafften sie es nun möglicherweise doch durch das Nadelöhr. Ein Scheitern mit Happy End?

Giottos Name kennt heutzutage jeder – ganz im Gegensatz zu den Peruzzi und Bardi  – und sei es bei einem „café solo con Giotto“.

PS für Ihren nächsten Florenz-Besuch

Bei einem Besuch der „Giotto-Website“ von Ferrero erfahren Sie nicht nur etwas über den Glockenturm, sondern lernen in kleinen Lektionen, wie man auf italienisch perfekt einen Kaffee bestellt – für Ihren nächsten Florenz-Besuch zwischen den Besichtigungen von Palazzo Vecchio und Santa Croce? Als gut lesbares Giotto-Sachbuch empfehle ich: „Giotto“ von Michael Victor Schwarz, erschienen im Beck-Verlag.