Was Florian Schroeder und Baldassare Castiglione verbindet? Beide entdeckten das Geheimnis folgender Frage:

Wie erkennt man erfolgreiche Frauen?

Florian Schroeder beschrieb in der NDR-Talkshow am 22.01.2016 die erfolgreiche Frau und ziemlich genau 500 Jahre vorher beschrieb Baldassare Castiglione die vollendete Hofdame – die Gemeinsamkeiten sind verblüffend:

  1. Sie ist schön & schlau,
  2. sie hat Kinder und
  3. ihr scheint alles leicht und mühelos von der Hand zu gehen.

Ich reise gedanklich ins 16. Jahrhundert nach Italien und stelle mir vor, wie die Herzogin Elisabetta Gonzaga abends im Kreis zahlreicher Höflinge am Hof von Urbino über den perfekten Hofmann und die vollendete Hofdame diskutieren – in ähnlicher Weise also wie die NDR-Talkshow um Barbara Schöneberger:

Die Frankfurter Dame in Rot von Agnolo Bronzino vermittelt dieses Bild einer selbstbewussten, belesenen und wohl kinderreichen Frau: Selbstbewusst: Blick und Haltung. Belesen: die Bücher auf der Steinbank rechts. Kinderreich: vermutlich, denn das war das Ziel in der Renaissance; auf jeden Fall verheiratet: Ehering und der kleine Hund als Sinnbild ehelicher Treue.

Barbara Schöneberger:  Selbstbewusst: Blick und Haltung. Belesen: 10 Semester Soziologie, Kommunikationswissenschaft & Kunstgeschichte, schreibt Wikipedia. 2 Kinder, verheiratet – Ring am Finger. Manchmal in Rot – gern aber auch in Schwarz und Weiß – oder hier in Frühlingspastellen:

Die erfolgreiche Frau vor 500 Jahren und heute

Die erfolgreiche Frau vor 500 Jahren und heute

Beide sehen alles andere als gestresst aus. Und das scheint damals wie heute das Ausschlaggebende zu sein. Die erfolgreiche Frau ist nicht nur erfolgreich, sie sieht auch so aus. Sie fühlt sich so. Sie strahlt genau das aus. Wie schafft man das?

„Mut zur Lücke“ ist […] mein Credo seit Jahren – und diese Strategie lasse ich mir bald patentieren. […] Nicht im Stechschritt zur Reinigung – sondern ’nen Cappuccino mit ’ner guten Freundin, herrlich!

So Barbara Schöneberger in ihrer neuen Ausgabe: Barbara: Kein normales Frauenmagazin. Motto: „Mut zur Lücke“. Und vor 500 Jahren?

„Man muss eine gewissen Nachlässigkeit zur Schau tragen,  die die angewandte Mühe verbirgt und alles, was man tut und spricht, als ohne die geringste Kunst und gleichsam absichtslos hervorgebracht erscheinen lässt.“

So Baldassarre Castiglione. Der Städel schreibt im Digitorial zur Maniera-Ausstellung:

„Die betont elegante Lässigkeit als Mittel der gezielten Selbstdarstellung […] Es geht dabei um das Ideal, sich in der bewussten Inszenierung der eigenen Person den Anschein von natürlicher Leichtigkeit, Ungezwungenheit und Spontaneität zu geben. „

Keinerlei erkennbarer Stress. Fröhliche, scheinbar mühelose Disziplin. Einstudierte Nachlässigkeit – studied carelessness ist die offizielle Übersetzung des Oxford English Dictionary für das wundervolle italienische Wort, das wir von Castiglione aus dem 16. Jahrhundert kennen: sprezzatura!

SPREZZATURA

Ich muss zugeben, der Begriff wirkt etwas gespreizt. Und die Bedeutung suggeriert: Anstrengung. Unnatürlichkeit. Selbstkontrolle. Leichtigkeit, Ungezwungenheit und Spontaneität hingegen gefallen mir – so wie bei Barbara Schöneberger.

Ich recherchiere: das italienische Wort sprezzare heißt verachten. Vielleicht ist das der Schlüssel für eine Bedeutung, die mir zusagt: Vielleicht entstehen Natürlichkeit und Ungezwungenheit der sprezzatura gerade dadurch: durch Verachtung. Verachtung der möglichen Meinung anderer. Nicht achten auf das, was andere von einem denken könnten. Sondern darauf vertrauen, dass man gut so ist, wie man ist. Dass man nicht einen Studienabschluss mehr und fünf Kilo weniger braucht, um das zu tun, was man aus tiefstem Herzen kann und mag. Dass einen niemand daran hindern kann, man selbst zu sein!

Ich bin der Überzeugung, dass wir ganz genau merken, ob jemand authentisch ist oder eine Rolle spielt. Die wirklich erfolgreichen Menschen erkennen wir sofort. Dabei ist es egal, wieviel Kinder sie haben, wieviel Mitarbeiter sie führen und welche Maße sie haben. In diesem Sinne wandle ich die Definition von Castigliones sprezzatura ein wenig ab:

„Man darf eine gewissen Nachlässigkeit zur Schau tragen, man muss nicht perfekt sein. Die angewandte Mühe fühlt sich viel weniger mühevoll an, wenn alles, was man tut und spricht, das beste ist, was man in diesem Leben schaffen kann. Als wäre es ohne die geringste Kunst und gleichsam absichtslos hervorgebracht – so muss das auf Menschen wirken, die mit viel Disziplin und wenig Freude ihr Leben mit Dingen verbringen, die sie selbst nicht für sinn-voll erachten.“

Wann fühlten Sie sich das letzte mal leicht, unbeschwert & spontan? Was können Sie tun, damit Sie sich viel öfter so fühlen? Im Beruf, mit Freunden, in der Familie oder allein? Und haben Sie sich nicht genau in diesen Momenten als schön und gutaussehend empfunden? Sieht Barbara Schöneberger nicht genau aus diesem Grund umwerfend aus?

Nachsatz zum Thema Schönheit: „Wenn ich ihrer Schönheit ganz sicher wäre, ließe ich sie ohne jeden Schmuck betrachten.“ So wie Castiglione die perfekte Hofdame durch Magnifico Juliano beschreiben lässt, erscheint vor meinem inneren Auge gleich das Bild der Mona Lisa: eines der wenigen altmeisterlichen Portraits ohne irgendein Schmuckstück. Leonardos Mona Lisa und Castiglione verbindet noch etwas weiteres: An die leere Stelle nach dem Raub der Mona Lisa im Jahre 1911 hängte der Louvre Raffaels Porträt von Baldassare Castiglione. Ein Portrait von Barbara Schöneberger gab es ja noch nicht.

Die Ausstellung „Maniera“ ist bis 5. Juni im Frankfurter Städel zu sehen. Oder in die Miró-Ausstellung in der Schirn Kunsthalle?

Falls Sie sich nicht entscheiden können: „Entscheidet euch!“ ist das aktuelle Vortragsprogramm von Florian Schroeder.

Und für die Zugfahrt: Barbara: Kein normales Frauenmagazin!