Wenn man sich diese Frage stellt, ist man schon recht weit. Denn dass kreatives Denken in unseren Unternehmen eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen ist, war bereits 2010 das Ergebnis der globalen CEO-Studie von IBM (Kreativität auf Platz 1) sowie der Studie Future of Jobs des Weltwirtschaftsforums 2016 (Platz 3) und 2023 (Platz 2). 

Doch in der gleichen Studie von 2023 wird festgestellt , dass Kreativität zugleich eine der Fähigkeiten ist, die am wenigsten trainiert wird. 

Das Bild von Banksy zeigt die enorme Faszination kreativer Lösungen sehr deutlich: Eigentlich ist das Spiel 3 gewinnt bereits verloren. Alle neun Felder des Spielquadrats sind ausgefüllt und weder X noch O konnte 3 Kreuze oder drei Kreise waagrecht, senkrecht oder diagonal verbinden. Aber X verbindet das X des Wortes BOX mit seinen beiden Kreuzen und vervollständigt seine 3-er-Reihe. Wie genial, doch noch gewonnen!

Ganz klar, dass wir auch in unseren Unternehmen solche kreativen Ergebnisse wollen und brauchen. Natürlich nicht bei 3 gewinnt, aber bei spieltheoretischen und anderen Verhandlungen, der Entwicklung besserer Produkte, der sinnvollen Nutzung von KI oder auch der globalen gemeinsamen Challenge rund um Klimaziele, ESG und die Enkelfähigkeit unserer Erde.

Wie also trainiert man kreatives Denken – für sich selbst, als Team, als Unternehmen?

Wann Kreativitätstechniken helfen: Der Nutzen von Brainstorming, 6-3-5 und Walt-Disney-Methode

Kreativitätstechniken können dabei helfen, kreative und innovative Lösungen zu erarbeiten. Doch viele Methoden liefern lediglich einen groben Rahmen und keine konkrete Anleitung. 

Zum Beispiel Brainstorming: „Lasst uns Ideen sammeln, alles ist erlaubt, keine Kritik!“ Wie wir aber diese Ideen finden sollen, dazu liefert die Technik des Brainstormings keinerlei Anleitung.

Auch bei der 6-3-5-Methode geht man davon aus, dass die Ideen schon irgendwo herkommen. Sechs Teilnehmer haben zunächst 5 Minuten Zeit, drei Lösungsideen auf eine vorher definierte Fragestellung in einer Tabelle zu notieren. Dann wird das Blatt rumgereicht, und alle ergänzen eine weitere Idee oder Verbesserung zu den 3 Ideen, die bereits auf dem Blatt stehen, solange, bis jeder jedes Blatt hatte. 

Die Walt-Disney-Methode lässt uns drei verschiedene Blickwinkel einnehmen: den Träumer, den Kritiker und den Realisten. Das Sich-Hineinversetzen in andere Rollen ist ganz wesentlich für jede kreative Lösung und deren Realisierung. Walt Disney hatte Ideen am laufenden Band. Aber wie der Träumer zu seinen Ideen kommt, bleibt offen. Leichter fällt uns die Perspektive des Kritikers und des Realisten, im Kritisieren und im „Zurückholen auf den Boden der Tatsachen“ sind viele sehr gut. Weniger gut hingegen im Ideen kreieren und im Unterstützen anderer bei der Verwirklichung neuer Ideen. Noch. Denn das darf sich sehr gerne ändern.

Mein Résumé: Wenn Menschen wissen, wie sie schnell und strukturiert zu Ideen kommen, dann sind diese Techniken eine gute Hilfe für die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen im Team. Wenn Teammitglieder aber keine kreative Routine im beruflichen Umfeld haben oder sich selbst für nicht besonders kreativ halten, dann helfen diese Kreativitätstechniken nicht weiter. 

Aber wie trainiert man jetzt kreatives Denken?

Anders denken als normal 

Wie denken wir normalerweise? Viele unserer täglichen Abläufe und Gedanken wiederholen wir immer und immer wieder. Durch diese Wiederholungen verändern sich die neuronalen Verbindungen in unserem Gehirn. Und so wird aus einem schmalen Gedankenpfad nach und nach ein breiter vielbenutzter Weg. Das ist gut, wenn wir Aufgaben immer wieder schnell und effizient erledigen wollen, ohne viel darüber nachzudenken.

Wollen wir aber eine Lösung finden, die anders ist als das, was wir haben, dann müssen wir anders denken, so wie Banksy. Out of the box, outside the frame, über den Tellerrand: all das sind Begriffe, die genau das ausdrücken. Auch wenn wir verrückt denken, passiert genau das: Wir denken anders, als wir sonst denken. Ver-rückt eben. 

Und hier kommt eine ganz konkrete Anleitung. Wenn du an deine Situation oder an ein Problem denkst, das du gerne ändern willst: Welche Bilder entstehen jetzt vor deinem inneren Auge? Siehst du es deutlich vor dir? Bei den allermeisten sind dies negative Bilder. Bilder von dem, was aufhören soll. Das, was man nicht mehr mag. Wenn wir stattdessen fragen: Was soll die Lösung bewirken? oder Was will ich? Dann kreieren wir mit dieser Frage andere Bilder im Kopf. 

Probiere es gleich aus:

Als Beispiel ein Busunternehmen. Sie hatten das Problem, dass die Busse während der Fahrten im öffentlichen Nahverkehr verdreckt, beschädigt, demoliert wurden. Da haben wir gleich Bilder vor Augen, oder? Wie begegnet man diesem Vandalismus? Mit Anzeigen wegen Sachbeschädigung? Ja klar, geht auch. 

Aber im Busunternehmen haben sie anders gedacht und sich gefragt, wie es denn optimal laufen sollte. Wie sie es gern hätten. Dabei hatten sie ein Bild im Kopf, bei dem alle Fahrgäste ruhig und friedlich auf ihren Plätzen sitzen, aus dem Fenster schauen, sich unterhalten oder ihr Smartphone benutzen. Siehst du auch dieses Bild vor Augen? In diesem positiv formulierten Wunschbild fanden sie tatsächlich die Lösung. Sie installierten W-LAN in den Bussen. Bereits am nächsten Tag war das Vandalismus-Problem gelöst. 

Gewinnen oder scheitern?

Nochmal zu Banksy und 3 gewinnt: Wir sind erstaunt und erfreut über die so schöne kreative Lösung von X. Doch wenn wir genau hinsehen, dann erkennen wir: O hätte vor X gewinnen können. Denn als X dran ist, hat O ja seinen letzten Kreis gezeichnet und bereits 5 Kästchen mit einem Kreis gefüllt. Mit kreativem Denken hätte O das Spiel gewonnen, denn das O von BOX hätte die 3-er-Reihe von O vervollständigt. Ähm? Ja!

Dieses Bild ist also nicht nur ein Aufruf, kreativer zu denken. Es zeigt auch das Scheitern, das ganz oft unsichtbar bleibt, weil wir gar nicht erkennen, welche genialen Alternativen es gab – und weil wir, wenn wir unser Scheitern doch erkennen, nicht gerne darüber reden. Scheitern bleibt in unseren Statistiken weitgehend unsichtbar. 

Gleich Anfangen? Trainiere anders zu denken

Damit dir und euch immer öfter bessere Lösungen einfallen, habe ich drei Anregungen, mit denen sich kreatives Denken ganz konkret in die Arbeitswoche integrieren lässt:

#1 Kurz innehalten: Wunsch-Bilder im Kopf?

Wie beim Busunternehmen. Halte vor einem Beginn kurz inne und stelle dir ganz bewusst positive Bilder vor, so wie du es haben möchtest: Wie soll das Meeting ablaufen? Wie die anstehende Verhandlung? Das Gespräch mit Chefin oder Mitarbeiter, Lieferant oder Kundin?

Das gilt ebenso den Start eines Projekts und die Organisation einer Tagung (unsere Nachhaltigkeitskonferenz konnte deshalb so stimmig und super-effizient organisiert werden, weil wir ein gemeinsames Bild vor Augen hatten. Hier geht´s zu meinem Beitrag darüber). 

Mit welchem Bild willst du in deinen Arbeitstag starten?

#2 Perspektivwechsel beim Lunch

Out-of-The-Box-Denken innerhalb deines Unternehmens: Triff dich mit Kolleg/innen aus anderen Abteilungen zum Lunch: Frage sie, welche Chancen sie für euer Unternehmens in den nächsten 10 Jahren sehen. Welche Gefahren sie sehen. Höre zu, frage nach. Vernetze dich immer mehr und mach dir nach und nach ein Bild von allen Seiten.

Mit wem wolltest du dich schon immer mal zum Lunch treffen?

#3 Besser fragen statt klagen! 

Statt „Warum muss ich jetzt noch diese Aufgabe, die Präsentation, das Protokoll übernehmen?“ frage einmal „Wie kann ich etwas, das mir persönlich wichtig ist, in diese Aufgabe mit reinbringen?“ Oder „Wer würde die Aufgabe mit mir tauschen?“ Oder „Was müsste passieren, dass wir diese unbeliebte Aufgabe gar nicht mehr erledigen müssen?“ 

Welche andere Frage magst du stellen?

Studien:

World Economic Forum: Studie Future of Jobs von 2016 und 2023

IBM CEO-Studie 2010

Bildhinweis:

Es ist mir ein Vergnügen, euch mit dem OUT-OF-THE-BOX-Bild von Banksy Lust auf kreative Lösungen zu machen. Zur Info: Banksys Kunst darf nur zum eigenen Vergnügen verwendet werden, nicht zum kommerziellen Gebrauch. So steht es ausdrücklich auf der Homepage unter https://www.banksy.co.uk/licensing.html. Dieses Foto entstand beim Besuch der unauthorisierten Banksy-Ausstellung in Stuttgart 2023.