Eugène Delacroix war einer der innovativsten Künstler des 19. Jahrhunderts. Wie schaffte er es, sowohl kreativ und innovativ als auch schnell und effizient zu sein, um die großen Projekte zu bewältigen? Und: können wir uns von ihm etwas abschauen?
Hier lesen Sie den ersten Teil des Artikels: Delacroix´ Formel: Warum die Kreativen schnell sein müssen
Der Maler Eugène Delacroix nahm sich sein gesamtes Berufsleben immer die Zeit, auch eigene Projekte zu verfolgen, die nicht direkt an einen Auftraggeber gebunden waren. Besonders deutlich wird dies an einem außergewöhnlichen Gemälde-Projekt, das viele Aspekte beinhaltet:
- Das tosende Meer bei bewölktem Himmel liebte Delacroix zeitlebens sehr!
- Die Menschen befinden sich in einer Situation zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Dies entsprach einer gesellschaftlichen Stimmung zwischen Euphorie und Angst. Im 19. Jahrhundert wechselte die französische Regierung alle paar Jahre. Der technische Fortschritt veränderte die Lebens- und Arbeitsbedingungen: Delacroix erlebte die ersten Eisenbahnfahrten, beobachtete die ersten Dampfschiffe, sah die ersten Fotografien. Manche Menschen erlebten eine Aufbruchstimmung, andere waren durch die dramatischen Veränderungen zutiefst verunsichert.
- Er stellte einen Bezug zur aktuellen Medienberichterstattung her: dem im 19. Jahrhundert sehr häufigen Schiffbruch, der die Franzosen mit ihren vielen Küsten regelmäßig erschütterte.
- Verschiedene Materialien, Farbigkeiten und Kontraste.
- Er wählt ein Thema, das die Vorteile der Malerei und vor allem seiner Malerei am allerbesten hervorhebt, denn gegenüber der Literatur und der Musik sei sie wie keine andere geeignet, das Schreckliche und das Übernatürliche zu präsentieren. Warum? Weil das Schreckliche und Übernatürliche nur sofort wirken. Beim Gemälde kann der Betrachter selbst entscheiden, wie lange er sich mit dem Werk beschäftigt. Die Literatur hingegen braucht Zeit, bis die ganzen Seiten einer Geschichte oder eines Gedichts gelesen sind, und die Musik ist ebenfalls zeitgebunden.
Er packte also seine eigenen Vorlieben (das Meer) und ein aktuelles Thema (der Schiffbruch) zusammen mit Aspekten, die die Vorteile seines „Produkts“ (des Gemäldes) besonders herausstellten: einmal inhaltlich mit dem Schrecklichen und dem Übernatürlichen; des weiteren hinsichtlich der Wirkung ein Sujet bei bedecktem Himmel, von dem Delacroix sagte, es sei am besten geeignet, die Farbigkeit der Dinge zu präsentieren. Darüber hinaus sollte sein Werk den Verstand ansprechen, das Gefühl und das Auge. Für den Verstand braucht es eine allgemein bekannte Geschichte, das Gefühl erreicht man laut Delacroix´ eigenem Vermögen mit Farben im Mittelton, Farbkontrasten sowie einer Pinselführung, die das Werk als Einheit wirken lassen. Das Auge darf sich darüberhinaus an der farblichen Pracht erfreuen.
Wie schaffte es Delacroix, seine eigenen Vorlieben, ein aktuelles Thema und die Vorteile seines Produkts in einem Projekt zu verbinden? Welche Gemälde mit welchem Thema verbinden all diese Kriterien und Eigenschaften?
Die Verbindung all dieser Vorteile und Vorlieben fand Delacroix im Thema Jesus auf dem See Genezareth. Und er setzte es nicht nur einmal um, sondern mindestens sechs mal (manche Zeitgenossen berichten gar von zehn Versionen). Die Gemälde wurden mit großer Begeisterung aufgenommen. Sie wurden von Kunstkritikern und den ersten Biografen gepriesen und mehrfach als „schönstes Seestück“ bezeichnet. Ein Gemälde schaffte es unter die Top 100 der religiösen Gemälde aller Zeiten (1895 hieß das „Les cent chefs-d´œuvre de l´art religieux“ von Charles Ponsonailhe). Die Gemälde verkauften sich gut, und ihre Werte stiegen bei jedem Weiterverkauf an.
Können wir uns von Delacroix´ Projekt etwas abgucken? Ich meine JA!
Hier ist eine sehr wirksame Anleitung, wie Sie mehr Kreativität in Ihren Beruf bringen
IHR PRODUKT: Stellen Sie einmal zusammen, in welchem Anwendungsbereich die Produkte Ihres Unternehmens oder das Produkt, an dem Sie arbeiten, besonders nützlich sind. Es kann ein reales oder ein virtuelles Produkt sein, es kann für externe oder interne Kunden bestimmt sein. Wichtig ist der besondere Nutzen, der Ihr Produkt von dem der Konkurrenz abhebt.
Das Produkt Delacroix´ ist das Gemälde. Ihm war es besonders wichtig, dass ein Gemälde nicht lediglich die Illustration zu einer Geschichte darstellt. Dann wäre nämlich die Geschichte die „höhere“ Kunst, da sie die ganze Geschichte erzählt, während das Gemälde nur eine einzelne Szene wiedergeben kann. Delacroix jedoch dachte groß.
Entwickeln Konkurrenten aus der eigenen Branche oder aus fremden Branchen andere Vorteile? Wie können Sie den Nutzen Ihres Produkts steigen?
IHRE VORLIEBEN: Erstellen Sie eine lange Liste all der Themen, die Sie faszinieren, mit denen Sie sich gerne mehr beschäftigen möchten, von denen Sie vielleicht auch schon einiges wissen.
Eugène Delacroix liebte das Meer. Nun gab es Maler, die nur Seestücke malten und sich auf diese Gattung spezialisiert hatten. Doch Delacroix kritisierte ihre Werke: Vor lauter Wellen würde man das Meer nicht mehr sehen. Ihm fehlte der Gesamteindruck, und es erfordert seiner Meinung nach künstlerisches Können, nicht lediglich Details nebeneinanderzusetzen, sondern eine bildnerische Einheit zu erzielen, die den Fokus auf das Wesentliche richtet. Delacroix´ Trick, wie er das zu erreichen suchte, ist das Vage. Nicht jedes Detail müsse detailliert dargestellt werden, oft reichen wenige Pinselstriche. Durch die Vorstellungskraft der Betrachter vollendet sich das Gemälde in dessen Sinne – Individualisierung inbegriffen.
Wenn Sie sich in ein anderes Themengebiet begeben, nutzen Sie Ihre Vorteile als jemand, der die Dinge von außen betrachtet. Die Menschen, die seit Jahren in diesen Bereichen arbeiten, verlieren sich oft in Detailfragen, die sie optimieren. Menschen von außen erkennen noch das Ganz und haben den Überblick. Dies ist übrigen ein gut bezahlter Aspekt von Unternehmensberatungen.
IHRE KERNKOMPETENZEN: Was können Sie sich richtig gut? Was ist in der Kombination Ihrer Stärken und Erfahrungen Ihr Alleinstellungsmerkmal?
Delacroix schafft es, den Überblick zu behalten und sich nicht in den Details der Aufgabe zu verlieren. Er ging seine Aufgaben von allen Seiten an: Er lieferte dem Verstand Argumente (das Thema des Gemäldes sowie eigene kunsttheoretische Gedanken, die er von Zeit zu Zeit in Aufsätzen veröffentlichte). Er fand einen Weg zur Gefühlsebene der Betrachter, die so zerrissen waren wie die Zeit. Diesen Zeitgeist fing Delacroix mit seinen Gemälden ein, die es erlaubten, unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert zu werden. In seinen Gemälden konnte man eher die Angst sehen oder die Hoffnung, sie lassen den Ausgang offen. Dies verband der Meister der Farbe mit seinem Wissen und Können zur Wirkung der Farbe und von Farbkontrasten und forderte vom Gemälde, vielleicht als erster Maler überhaupt, dass es vor allem anderen ein Genuss für das Auge sei. Das allerdings funktioniert nur, wenn die Malerei selbst – die Farben und die Pinselstriche – auf den Betrachter wirken und nicht nur das Thema.
Denken Sie in ganz unterschiedlichen Kategorien: Fachwissen – Methodenkompetenz – Beziehungen – Kommunikation – Werte – Medien … Was haben Sie gelernt? Wo sind Sie schnell? Wo fragen Sie andere um Rat? Was geht Ihnen leicht von der Hand, wofür Kollegen, Freunde, auch Vorgesetzten deutlich länger benötigen?
Finden Sie Ihr eigenes Projekt!
Suchen Sie nach der Aufgabe, die alle diese drei Bereiche in sich vereinigt: die Vorteile Ihres Produkts, Ihre Vorlieben und Ihre Kernkompetenzen. Denken Sie darüber nach, wenn Sie morgens unter der Dusche stehen, wenn Sie auf dem Heimweg sind, oder gemütlich auf Ihrer Terrasse bei einem Glas Rotwein sitzen. Finden Sie diese Aufgabe in Ihrem Stellenprofil, in Ihrer Abteilung, oder in einem ganz anderen Bereich Ihres Unternehmens. Und wenn Sie so eine Aufgabe gefunden haben, dann machen Sie sie zu Ihrem Projekt.
Es gibt Unternehmen, die Mitarbeitern diese Freiräume schaffen. 3M ist so ein Unternehmen, in dem Mitarbeiter aus dem Entwicklungsbereich 15% ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte verwenden dürfen. Wir kennen die Post-its von 3M, doch das ist nur eines von 55.000 Produkten und 25.000 Patenten. Doch auch wenn Sie in einem Unternehmen und einer Position sind, die dies nicht vorsieht:
- Arbeiten Sie an „Ihrem“ Projekt nebenher, in Ihrer Freizeit.
- Treffen Sie in Ihrer Mittagspause Menschen, die in Ihrem Unternehmen damit zu tun haben.
- Lernen Sie diejenigen kennen, für die dieses Produkt gemacht ist.
- Entwickeln Sie Problemlösungen, Produkterweiterungen, Vertriebsideen.
- Machen Sie sich theoretische Gedanken und experimentieren Sie praktisch …
… und jetzt passiert etwas: Sie beginnen, kreativ zu werden. Weil Sie Lust darauf haben. Weil Sie nach und nach zur Expertin, zum Experten werden. Weil Sie ein Ziel haben und Ihr Unterbewusstsein auch nach der bezahlten Arbeitszeit kreativ für Sie weiterarbeitet.
Und nun: Seien Sie aufmerksam und achten auf Ihre Chance!
Wenn Sie dann eine Chance erspähen, ist Ihre Zeit gekommen! Wenden Sie Ihre neu entwickelten Fähigkeiten, Erkenntnisse und Lösungen an – Sie werden schneller sein als Ihre Kollegen und als Ihre Mitbewerber. Sie können sich einbringen. Sie können sofort handeln, noch bevor die 1,69 Sekunden vorbei sind. Wahrscheinlich haben Sie aber sogar etwas mehr Zeit.
Ihre Arbeit erhält durch Ihre „vorbereitete effiziente“ Kreativität eine neue Qualität, und die Chancen stehen gut, dass Sie auch in Ihrer bezahlten Arbeitszeit an immer mehr Projekten arbeiten, die Ihren Kernkompetenzen, Ihren Vorliegen und den Alleinstellungsmerkmalen Ihrer Produkte entsprechen. Mit dieser künstlerischen Einstellung zu unserer Arbeit schaffen wir eine nachhaltige Grundlage für Zufriedenheit und beruflichen Erfolg – und für unser Unternehmen Effizienz und Innovation.
Machen Sie es wie Delacroix: Inspirieren Sie andere!
Er begründete keine eigene Schule. Aber Delacroix inspirierte nachfolgende Künstlergenerationen:
- Paul Cézanne zum Beispiel übernahm von ihm das Ziel, dem Gemälde durch die Pinselführung eine Struktur und Einheit zu geben (vgl. beispielsweise seine Gemälde des Mont Sainte Victoire).
- Georges Seurat und Paul Signac entwickelten Delacroix Erkenntnisse der Farbkontraste weiter zum Pointilismus, in dem sie die Farben nicht auf der Palette mischten, sondern auf der Leinwand nebeneinander setzten, um eine größere Brillianz zu erzielen.
- Claude Monet nutzte die vage Pinselführung und begann nach und nach, ein Thema als Serie zu entwickeln. Monets Serien der Kathedrale von Rouen oder der Getreideschober wäre nicht denkbar ohne Delacroix, dessen Jesus auf dem See Genezareth-Gemälde die Anfänge der Serie markieren (das ist die These meines Dissertationsprojekts).
- Noch Pablo Picasso sagte über Delacroix: „So ein Schmierfink! Welch ein Maler!“
Machen Sie es genauso und inspirieren Sie die Menschen in Ihrem beruflichen Umfeld, das gleiche zu tun. Dann erreichen Sie etwas, für das Delacroix einen wunderschönen Satz formulierte:
„Man arbeitet nicht nur, um Werke zu produzieren, sondern um der Zeit einen Wert zu geben.“ Geben wir unserer Lebenszeit diesen Wert.
Die Delacroix-Ausstellung im Louvre verzeichnete mit über 540.000 Besuchern einen neuen Rekord. Ab 17. September 2018 ist Delacroix im Metropolitan Museum in New York zu sehen. In Paris waren drei der Gemälde ausgestellt, möglicherweise sind es in New York sogar mehr, da sich mehrere Versionen in amerikanischen Museen befinden! Wenn Sie also zufällig in New York sind, lassen Sie mich gerne wissen, welche Jesus auf dem See Genezareth-Gemälde dort ausgestellt sind. Thanks!