Inka Drögemüller über einen inspirierenden Job, Johann Friedrich Städel und Frag-mich-Studenten im Museum
Was macht eigentlich Inka Drögemüller in Städel, Schirn & Liebieghaus?
Daniela Kaiser: Herzlichen Dank, Frau Drögemüller, dass wir uns heute im Schirn Café treffen. Ich habe ein paar spannende Fragen, über die Sie sich auch schon den einen oder anderen Gedanken gemacht haben. Ich finde es interessant, zuerst einmal zu erfahren, was Sie genau machen: Auf Ihrer Visitenkarte steht „Head International Relations“. Was machen Sie genau? Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Inka Drögemüller: Da fehlt noch die Ergänzung „Externe Partner“, was nicht ganz unwichtig ist – dies bedeutet, dass ich die Ausstellungskooperationen mit anderen Museen koordiniere. Ich arbeite für die drei Häuser Schirn Kunsthalle Frankfurt, das Städel Museum und die Liebieghaus Skulpturensammlung. Wir initiieren sehr viele Präsentationen und sind natürlich auch daran interessiert, dass diese nicht nur bei uns gezeigt werden, sondern dann zu anderen Stationen auch weiterreisen. Das ist eine meiner Aufgaben. Zudem bin ich zuständig für die häuserübergreifenden Projekte zwischen den drei Frankfurter Museen. Ein Beispiel dafür ist die Jeff Koons-Ausstellung im Jahr 2012, die sowohl in der Schirn Kunsthalle als auch in der Liebieghaus Skulpturensammlung stattfand. Die zeitgenössischen Skulpturen des US-Künstlers Jeff Koons wurden gemeinsam im Dialog gezeigt mit der 4.000 Jahre umfassenden Sammlung des Liebieghauses. In der Schirn haben wir hingegen Malerei von Jeff Koons gezeigt. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit mit externen Partnern betrifft auch diverse Digitalisierungsprojekte, bei denen wir mit Universitäten, Stiftungen und Unternehmen kooperieren. Darüber hinaus bin ich zuständig für alle Projekte, die wir in unseren Museen mit Partnern aus der Wirtschaft oder mit anderen Forschungsinstitutionen initiieren.
DK: Die externen Partner als Sponsoring-Partner?
ID: Unsere Partner sind weniger Sponsoring-Partner, sondern tatsächlich Partner in der konkreten Zusammenarbeit. Ein Beispiel ist die gemeinsam entwickelte digitale Exponate-Plattform „Städel Digitale Sammlung“, ein vom Land Hessen gefördertes Projekt, das entstanden ist in Zusammenarbeit mit dem Städel Museum, der Hochschule in Darmstadt, der TU Darmstadt und der Software AG. Am Anfang waren wir nur der Use-Case, sind dann jedoch stark in dieses Projekt reingewachsen, sodass letztlich daraus die nun online zugängliche Digitale Sammlung entstand.
Für das Sponsoring gibt es eine eigene Abteilung für die drei Häuser. 2001 bin ich mit Max Hollein aus New York nach Frankfurt gekommen, der zunächst nur Direktor der Schirn Kunsthalle war. Damals war ich zuständig für den Aufbau der Abteilungen Marketing und Sponsoring, die es damals in dieser Form noch nicht gab. Als 2006 Max Hollein zusätzlich auch als Direktor das Städel Museum und die Liebieghaus Skulpturensammlung verantwortete, habe ich immer weitere Aufgaben und Projekte übernommen, wie z.B. die Neupräsentation der Sammlung im Liebieghaus oder die Erweiterung des Städel Museums. Das Sponsoring im Städel Museum haben wir in dieser professionalisierten Form weiter entwickelt und auch sehr differenziert, um die Ansprache zu verbessern.
Berlin & New York – Ein spannender Lebenslauf
DK: Haben Sie auch schon in New York mit Max Hollein zusammengearbeitet?
ID: Nein. Ich kannte ihn über einen persönlichen Kontakt. Er war damals im Guggenheim Museum und ich habe im Kunsthandel gearbeitet und in Berlin und New York gelebt. Als Max Hollein dann hier in Frankfurt Direktor geworden ist, fragte er mich, ob ich mitkommen wolle.
DK: Wie lange haben Sie in New York gelebt?
ID: Nach meinem Studium in Berlin bin ich drei Jahre zwischen Berlin und New York gependelt. Dann wollte ich an sich komplett nach New York übersiedeln und bin schließlich in Frankfurt gelandet.
DK: New York ist ein großer Schritt nach dem Studium, oder?
ID: Es war auf jeden Fall ein großer Schritt. Berlin war damals, wie heute auch, eine total spannende Stadt. Aber nach New York zu gehen war nochmal etwas ganz anderes, auch weil die ganze Kunstszene dort komplett anders funktioniert. Die Museen dort sind für uns immer noch ein großes Vorbild in speziellen Bereichen. Sie waren beispielsweise schon immer auf zusätzliche finanzielle Unterstützung angewiesen – ganz anders als in Deutschland, wo es üblich ist, dass ein Großteil der Finanzierung staatlich, städtisch oder vom Land geleistet wird. Das gibt es in den USA gar nicht oder nur teilweise. Was die Museen dort von der öffentlichen Hand erhalten, ist verschwindend gering. Sie sind es gewohnt, Gelder zu akquirieren. Das ist eine Erfahrung, die Max Hollein während seiner Arbeit im Guggenheim gemacht hat. Diese Erfahrungen konnten wir hier in Frankfurt mit einbringen.
Ausbildung & Studium
DK: Was haben Sie studiert? Wo haben Sie Ihre Praktika absolviert?
ID: Ich habe Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Es war ein unglaublich spannender Studiengang und Berlin war Anfang der 90er nach dem Mauerfall sowieso „the place to be“. Der Studiengang war auf eine Art sehr „elitär“, es gab ihn bundesweit in dieser Form nur einmal und fungierte quasi als Kaderschule für die Werbeindustrie. Viele meiner Kommilitonen sind dann auch in die Werbung gegangen, viele hochkarätige Leute aus der Werbung haben dort gelehrt. Ich hatte als Ergänzungsfach Kunst- und Kulturwissenschaften, was an der HdK natürlich großartig war. Es waren interessante Professoren dort, ein tolles Angebot und ein sehr kreatives Umfeld. Der Studiengang mit etwa 80 Studierenden im Jahrgang hatte einen recht hohen Numerus Clausus, der zu einer witzigen Mischung führte: sehr viele junge Leute, die ein gutes Abitur hatten und viele ältere Leute, die schon zehn Jahre gearbeitet hatten.
Während des Studiums habe ich sehr viele Praktika gemacht, teilweise auch in der Werbewirtschaft, aber ich habe sehr schnell gemerkt, dass das nicht das ist, was mich interessiert.
Der Einstieg in die Kunstwelt war für mich die Arbeit in einem Verlag, in dem wir Konzerte und Ausstellungen organisierten und der viele Musiker und Bildende Künstler unterstützte.
Im Anschluss an das Studium habe ich mit einer Kunsthändlerin zusammengearbeitet, die vorher Galeristin gewesen war und diverse Privatsammlungen aufgebaut hatte. Dadurch habe ich mich auf den Bereich bildende Kunst stärker spezialisiert, hauptsächlich im Bereich Gegenwartskunst. Das hat mir großen Spaß gemacht. Es war ein sehr internationales Leben mit vielen Messe- und Ausstellungsbesuchen und der Teilnahme auf großen Auktionen. Sehr viele Kunden waren in Nordamerika ansässig, deshalb bin ich dann nach New York gezogen und verkaufte deutsche Kunst an US-amerikanische Sammler. Schon damals war mir aber klar: ich möchte gerne im musealen und institutionellen Bereich arbeiten. Als mich dann Max Hollein gefragt hat, ob ich mit nach Frankfurt komme, hat mich das natürlich sehr gefreut. Andererseits bin ich aber auch sehr ungern aus New York weggegangen.
DK: Spannend.
ID: Ihre Frage war ja auch, wie ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Im Nachhinein, wenn ich mir meinen Lebenslauf anschaue mit den Stationen, dann erscheint das alles sehr folgerichtig, aber ich hätte das als Abiturientin nicht gewusst oder gar so geplant. Ich war überhaupt nicht darüber im Bilde, dass es diese Art von Beruf gibt. Ich habe mich schließlich aber dahin entwickelt, weil es das ist, was mich interessiert.
DK: Sie sind dem gefolgt, was sich ergeben hat, was Sie interessiert hat?
ID: Genau. Ich habe mir mein Studium selbst finanziert, indem ich nebenher gearbeitet habe. Aber ich hatte keine Lust zu kellnern, mir war es immer wichtig, dass ich etwas mache, was mich auch interessiert. Es spitzte sich dann immer weiter zu auf den Bereich der bildenden Kunst.
Stärken und Leidenschaften
DK: Welche Stärken haben Sie dahin gebracht, wo Sie heute stehen?
ID: Im Studium habe ich etwas gelernt, was ich wahnsinnig gut gebrauchen kann: Wir wurden eher zu Universalisten ausgebildet, weniger zu Spezialisten. Sofort in einer Situation zu erkennen: „Worum geht´s hier? Woher bekomme ich die Informationen, die ich brauche, um eine Aufgabe zu lösen?“, das habe ich im Studium gelernt und das konnte ich immer sehr gut und effizient anwenden. Dafür bin ich sehr dankbar
DK: Das universalistische Denken, Weitblick haben, Verknüpfungen sehen?
ID: Genau. Das haben wir auch an der Uni gelernt – was damals sehr ungewöhnlich war: seine eigenen Dinge und Ideen zu präsentieren und andere davon zu überzeugen. Zu überzeugen mit Argumenten, aber insbesondere eben auch mit ungewöhnlichen Ideen.
DK: Das beobachte ich auch: Viele wünschen sich, etwas besser darstellen zu können, dass man auf einen Blick sieht– das bringt derjenige mit – und Präsentieren hat immer auch etwas mit Emotionen zu tun, mit Begeisterungsfähigkeit.
ID: Wir müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Ob das Projekte sind, bei denen wir Unterstützung suchen, weil wir sie umsetzen wollen, es ist jedoch auch innerhalb der Häuser eine sehr große Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle an einem Strang ziehen und dass man für die Ideen, die man hat, Mitstreiter findet.
DK: Die Führung muss wissen, wo es hingeht und offen sein.
ID: Das ist auf jeden Fall so.
Kunst oder BWL?
DK: Sehen Sie sich eher auf der Kunst oder auf der BWL-Seite?
ID: Bei der Arbeit? Es ist eine schwierige Frage. Ich habe sehr viel mit Kunst zu tun. Ich lerne immer wieder hinzu, das ist das Tolle an meinem Job: das Thema ist immer spannend, aber es ist insgesamt natürlich auch harte Arbeit. Der betriebswirtschaftliche Aspekt ist dabei ganz wesentlich. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Dinge in dem gewünschten Umfang, Größe und auch mit einer gewissen Reichweite umsetzen können. Insgesamt aber sehe ich mich aber eher auf der Kunstseite.
DK: Die BWL ist also die Basis für die Kunst?
ID: Auf jeden Fall!
Management by Art-Matrix: ganz rechts ganz oben!
DK: Ich habe eine Management by Art-Matrix entworfen. Dabei übertrage ich die Fragestellung eines Kunsthistorikers an ein Kunstwerk auf die persönliche berufliche Situation. Ein Kunsthistoriker fragt vor einem Gemälde nach dem WAS und dem WIE (WAS ist dargestellt? WIE ist es dargestellt?). In meinen Vorträgen lade ich die Zuhörer ein, sich selbst zu befragen: Liebe ich das WAS in meinem Beruf? Und: Liebe ich das WIE? Einmal geht es um das Thema, und einmal um die Art und Weise des Arbeitens und die Rahmenbedingungen. Wo sehen Sie sich? (Abbildung)
ID: Ich muss sagen, ich befinde mich in der absolut glücklichen Situation, dass ich mich in solch einer Matrix ganz oben und weit rechts angeordnet sehe. Ich arbeite sehr eng mit Max Hollein zusammen. Ich habe Freiheiten, die Dinge zu gestalten. Ich frage mich manchmal: Was würde ich machen, wenn ich was anderes machen würde? Ich habe keine Ahnung!
DK: Wunderbar. Das ist ja die Optimal-Situation, und trotzdem nicht zu verharren in dem, sondern Teil dieser Entwicklung zu sein.
ID: Die Entwicklung geht immer weiter. Die Projekte werden im Nachhinein immer größer, immer ausdifferenzierter als anfangs abzusehen war. Ich verstehe das WAS zudem mit der Zeit besser und ich perfektioniere das WIE. Dadurch fällt mir einiges natürlich leichter und ich merke auch im Vergleich mit anderen, dass ich in einer sehr glücklichen Situation bin, dass ich in beiden Richtungen einen sehr erfüllenden Job habe.
DK: Wenn Sie jetzt jemandem, der sich nicht ganz oben und nicht ganz rechts einsortiert, einen Tipp geben würden: Warum lohnt es sich, und wie stellt man es am besten an, um dorthin zu kommen?
ID: Bei allem, was ich gemacht habe, habe ich gemerkt: Ich kann nur dann gut in meiner Arbeit sein, wenn ich das liebe und voll hinter dem stehe, was ich mache. Und wenn man das nicht tut, wenn man nicht davon überzeugt ist, dann wäre es für mich undenkbar, daran zu arbeiten. Ich weiß, dass das ein hoher und hehrer Anspruch ist und auch, dass es nicht viele solche Jobs gibt. Doch ich glaube, dass man in jeder Sache das finden muss, was einem am meisten Spaß macht, was einem am meisten erfüllt. Dann macht man die Sache aus meiner Sicht gut. Ich bin immer noch hier, weil ich absolut von dem überzeugt bin, was wir machen und wie wir das machen.
Bankier, Gewürzhändler & Kunstsammler: Johann Friedrich Städel
DK: Es gibt ja in Deutschland einige Unternehmen und Unternehmer, die Kunstsammlungen haben. Auch die Sammlung des Städel Museums ist dank solch einer Persönlichkeit hervorgegangen. Johann Friedrich Städel war Bankier und Gewürzhändler und hat dann seine Kunst den Frankfurter Bürgern vermacht. Was denken Sie: Warum sammelte er Kunst und warum dachte er, bringt es den Bürgern einen Nutzen, wenn er ihnen seine Sammlung vermacht?
ID: Er war für die damalige Zeit – vor über 200 Jahren – ein weitgereister Mann. Durch seinen Gewürzhandel ist er viel herumgekommen und hat an den Orten, an denen er war, Kunst angeschaut. Auf seinen Reisen kaufte er dann auch Kunst und zeigte sie den Frankfurtern in seinem Privathaus. Für ihn war es sicherlich eine große Leidenschaft. In seinem Haus sind alle ein- und ausgegangen, die Rang und Namen hatten, allen voran Johann Wolfgang Goethe. Städel war ein sehr vermögender Frankfurter und der Kauf von Kunstwerken war auch schon damals damit verbunden, dass man Zeit, Muße und v.a. das Geld dafür haben musste. Zu Lebzeiten hat er das in dieser Form gelebt und nach seinem Tod hat er sein Vermögen und seine Kunst der Stadt Frankfurt und den Frankfurter Bürgern vermacht. Er hatte auch keine Familie, der er das hätte weitervererben können.
DK: Diesen Zwiespalt gab es also nicht.
ID: Den gab es nicht. Das besondere bei Städel war, dass er sehr weit gedacht hat. Er wollte immer auch die Lehre und die Forschung mit der Präsentation von Kunst verbinden – hieraus entstanden schließlich die heutige Städelschule und das Städel Museum. Und: Er hat festgelegt, dass weniger bedeutsame Werke in seiner Sammlung sukzessive durch bessere ersetzt werden sollen. Er die Weiterentwicklung und den Wachstum der Sammlung schon mit und hatte dabei diesen unglaublichen Qualitätsanspruch. Dies hat er auch in seinem Testament verankert. Das finde ich sehr weitsichtig in Verbindung mit der Bildung und der Vermittlungsarbeit von Kunst.
Wirtschaft & Kunst: Wechselwirkungen
DK: Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Wechselwirkung von Wirtschaft und Kunst?
ID: Wir haben sehr davon profitiert, dass Frankfurt eine wohlhabende Stadt ist und hier Unternehmen sind, die Kunst einerseits zu Präsentationszwecken nutzen, aber auch, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Dadurch wurden viele Dinge ermöglicht. Wichtig ist jedoch auch unsere Unabhängigkeit: Wir haben keine Unternehmenssammlung präsentiert und es gibt auch keinen Einfluss von Unternehmen auf die Inhalte, die wir gezeigt haben. Social Responsibility spielt zudem eine immer größere Rolle für Unternehmen. Für uns ist es inzwischen sehr viel einfacher, Bildungs- und Vermittlungsprogramme finanziert zu bekommen als Ausstellungsprojekte. Sehr viele Stiftungen sind sehr stark darauf fokussiert. Auch bei den Unternehmen spielt CSR (Corporate Social Responsibility) eine große Rolle. Das Städel finanziert sich beispielsweise zu 80 Prozent durch Drittmittel aus privater Hand, was unglaublich viel ist.
DK: So lässt es sich auch viel besser arbeiten, oder?
ID: Das Städel ist eine gemeinnützige Stiftung. Die Schirn hingegen ist eine städtische GmbH, bei dem unser Etat von der Stadt festgelegt ist. Wir müssen nicht jedes Jahr bangen und neu beantragen, so könnten wir auch gar nicht arbeiten. Wir bekommen rund 5,3 Millionen Euro von der Stadt, aber das allein reicht nicht für die Ausstellungsarbeit. Wir müssen darüber hinaus mindestens noch 2 Millionen Euro im Jahr einwerben. Dann gibt es andere Formen der Kooperation: Wir haben für den Erweiterungsbau des Städel Museums sowohl Teile der Sammlung der Deutschen Bank übergeben bekommen als auch Teile der Fotografie-Sammlung der DZ-Bank. Das war von beiden Banken sicher ein Bekenntnis zur Stadt Frankfurt und natürlich eine große Möglichkeit, ihre Sammlungen öffentlich zugänglich zu machen. Natürlich bieten Unternehmen mit eigenen Sammlungen auch Führungen an, die DZ-Bank hat ein Art Foyer, in dem sie Ausstellungen zeigt. Aber an sich sind Unternehmenssammlungen nicht öffentlich zugänglich Ich glaube, die größte Herausforderung für Unternehmen ist, dass das Interesse an und ein Verständnis für Kunst sowie die Kunstvermittlung nicht nur auf der Vorstandsebene stattfinden kann. Je besser es gelingt, die Mitarbeiter zu involvieren und Kunst den Mitarbeitern näher zu bringen, desto mehr Sinn macht eine unternehmerische Sammlung oder Engagement in Sachen Kunst.
DK: Dieses Hineinwirken ins Unternehmen finde ich wichtig: Wenn durch die Kunst Impulse an Kreativität und Querdenken gesetzt werden, kann für das Unternehmen einiges entstehen.
ID: Das kann es auf jeden Fall – aber dazu braucht es Vermittlungsarbeit. Es reicht nicht, Führungen anzubieten. Ich kenne viele Unternehmenssammlungen und sehr viele Leute, die in Unternehmen arbeiten, die sich im Kunstbereich engagieren. Es ist wichtig, dass dieses Engagement nicht nur auf der Chefetage genutzt wird für Client Entertainment. Ich habe oft erlebt, dass Unternehmen sammeln, dass die Kunst in den Büros aufgehängt wird und die Mitarbeiter nicht verstehen, was das soll. Da müssen die Unternehmen Vermittlungsarbeit leisten. Vermittlungsarbeit ist übrigens auch eine unserer größten Aufgaben Wir schulen zum Beispiel Lehrer vorab, damit sie mit ihren Schülern in die Ausstellung kommen. Kunst zu vermitteln ist eine Aufgabe, die mittlerweile sehr viel stärker in den Museen liegt, als im Bildungssektor bei den Schulen. Insofern glaube ich auch, dass das, was Sie machen, extrem wichtig ist!
[Anmerkung DK: Wir hatten vorab über Inhalt und Zielgruppe meiner Management by Art-Vorträge gesprochen. Aus dem Blickwinkel der Kunstvermittlung ist dies eine komplett neue Möglichkeit, auch Menschen zu erreichen, die noch wenig Vorbildung im Kunst- und Kultur-Bereich haben. Manche erfahren etwas über Künstler, von denen sie bisher vielleicht nur den Namen kannten. Und sie erhalten den direkten Bezug zu ihrer eigenen Arbeit, was das Kernthema der Inspirationsvorträge ist: Künstler als Vorbilder zu nehmen und mehr Kreativität, Mut und Begeisterung in den eigenen Beruf einzubringen.]
ID: Ein Vorwissen in Kunstgeschichte kann man nicht voraussetzen. Darum haben wir auch diverse digitale Initiativen gestartet. Wir merken, dass unser Aktionsradius im digitalen Raum ein völlig anderer ist und wir auf diese Weise Leute und Zielgruppen erreichen, die vielleicht nicht ins Museum kommen. Zudem können wir zeigen, dass in Museen auch Themen verhandelt werden, die sehr viel mit unserem täglichen Leben zu tun haben. Das ist eine kontinuierliche Arbeit, die wir weiterentwickeln und ausbauen. Hier übernehmen wir als Museum auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Als gemeinnützige Stiftung haben wir keinen kommerziellen Hintergrund, das macht uns vielleicht in gewisser Hinsicht glaubwürdiger als Unternehmer. Wir haben einen Bildungsauftrag, mit einem großen Potential, denn der Bedarf in der Gesellschaft ist enorm.
Die gewünschten Museumsbesucher? Alle!
DK: Wer sollte Ihrer Meinung nach mehr in Museen zu sehen sein – nicht nur in den Sonderausstellungen, sondern auch in den vielen schönen ständigen Sammlungen?
ID: Alle! Ich würde wirklich sagen: alle. Wir versuchen unsere Museen zu öffnen für alle und für jeden. Wir freuen uns immer, wenn unser Haus voll ist mit Schulklassen, wir wissen aber auch, dass andere Besucher natürlich die Ruhe im Museum schätzen. Aber wir wollen offen sein für alle. Man kann sich immer mehr jüngere Leute wünschen, aber auch da muss ich sagen: Wir sind insgesamt ganz gut aufgestellt, unser Publikum wird immer breiter. Dies hat sich sehr gewandelt in den vergangenen Jahren, es kamen weniger Leute ins Museum und die gehörten meist dem Bildungsbürgertum an. Die Museen haben sich inzwischen stark geöffnet, mit Programmen und Veranstaltungen gezielt Angebote für neue Zielgruppen ermöglicht. Man muss unterschiedlichsten Leuten verdeutlichen, warum sie ins Museum kommen sollen: What´s in for me? Was hat mir das Museum zu bieten?
Warum überhaupt Kunst?
DK: Was könnte das sein? Was können die für sich mitnehmen?
ID: Für uns ist das der Bezug zur eigenen Welt .Was hat die Kunst mit mir persönlich zu tun? Wenn wir den Besuchern in Führungen und Workshops erklären, warum die Künstler das gemacht haben, was sie gemacht haben und wie sich dies auf unsere eigene Zeit übertragen lässt, sind die Leute total interessiert und begeistert. Und oft geht es natürlich auch darum, zu verstehen, was man eigentlich sieht, warum das so ist, wie es dargestellt ist.
DK: Also einmal diese Künstler-biographische Komponente, die auch versucht zu verstehen, was in der Zeit passiert ist und warum die Künstler so agiert haben. Dann aber auch die Reflektion: „Was macht die Kunst konkret mit mir, wenn ich sie anschaue?“, „Welche Assoziationen entstehen?“
ID: Ja, der Aspekt, in welchem Kontext der Künstler das gemacht hat, was er oder sie damit ausdrücken wollte – wir können ja vieles gar nicht verstehen, weil wir die historischen Hintergründe nicht kennen. Das ist eine der zentralen Erkenntnisse bei unseren vielfältigem Vermittlungsangeboten, die interessiert: „Warum ist etwas entstanden?“ und „In welchem Kontext ist es entstanden?“ Das andere ist, dass wir weniger versuchen, Antworten zu geben, sondern vielmehr auch Fragen stellen, die die Kunst aufwirft. Über das Fragen lernt man ja sehr viel, sowohl über das Kunstwerk, als auch über sich selbst.
DK: Also auch das Fragen stellen an die Kunst –auch in der Gruppe und mit anderen Besuchern?
ID: Genau. Bei den Städelnächten oder Schirn@Night haben wir sogenannte „Frag-mich-Studenten“, die da sind und auf die Leute zugehen und Fragen beantworten. Dieses Fragenstellen und über die Kunst zu sprechen ist total wichtig.
DK: Das ist ja auch ein neues Konzept, das es nicht überall gibt.
ID: Es ist gar nicht mehr so neu, aber überall gibt es das nicht, das stimmt. Diese Vermischung von Edutainment, Kunst, Spaß und Leutetreffen ist bei uns sehr erfolgreich.
Lieblingskünstler & erste Inspiration
DK: Haben Sie einen Lieblingskünstler?
ID: Ich neige dazu, immer das besonders zu lieben, womit ich mich gerade beschäftige. Das Schöne ist, dass das Spektrum in meiner Arbeit so groß ist: Malerei vom Mittelalter bis in die Gegenwart im Städel. Im Liebieghaus Skulpturen von der Antike bis zum Klassizismus und in der Schirn Kunsthalle Themenausstellungen und Retrospektiven zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, es ist quasi alles abgedeckt. Besonders toll finde ich es, mit lebenden Künstlern zusammenzuarbeiten, das finde ich sehr inspirierend, da nehme ich wahnsinnig viel mit.
DK: Letzte Woche war Miros Enkel da …
ID: Das war toll! Er ist selbst Künstler, und es ist natürlich spannend zu erfahren, wie er seinen Großvater im Atelier erlebt hat. Es sind immer tolle Begegnungen Ich kann mich nicht auf einen festlegen.
DK: Also auch hier universalistisch …
ID: … ja genau! Ich bin zudem viel unterwegs, sehe viel und bin immer wieder aufs Neue begeistert. Diese Entdeckungen, die man machen kann, finde ich toll.
DK: Wer war der erste Künstler, wenn Sie zurückdenken, von dem Sie dachten: WOW!
ID: Picasso!
DK: Wie alt waren Sie da?
ID: Teenager. Mittlerweile ist er für mich nicht mehr der größte Künstler, auch wenn er sicher ein großer ist. Aber Picasso war für mich ein Schlüssel zur Kunst.
DK: Picasso kennt jeder, egal, ob er sich für Kunst interessiert oder nicht.
ID: Das finde ich ganz interessant, weil das, was er gemacht hat, ja gar nicht so gefällig ist. Es ist nicht wie bei Monet, von dessen Kunst man heute sagt, das sei einfach immer schön.
DK: Monet war anfangs ja auch nicht gefällig.
ID: Zu seiner Zeit war er das überhaupt nicht. Aber aus heutiger Sicht betrachtet erscheinen impressionistischen Bilder eher gefällig. Wobei das kein Adjektiv ist, mit dem ich Kunst beurteilen würde. Picasso hatte eine unglaubliche Kraft für mich, das kann man in seinen Werken sehen: er hat klar mit Konventionen gebrochen, er hat Dinge gemacht, die sonst niemand machte.
DK: Von Picasso können sich viele Unternehmen heute noch etwas abschauen – er hat sich immer wieder neu erfunden, und zwar ganz wichtig: bevor er nicht mehr gefragt war. Es gibt viele Künstler und Unternehmen, die einmal ihre Marke geschaffen haben, und dann denken, wunderbar, ich bin berühmt, jetzt bleibe ich diesem Stil treu. Das ist das Spannende bei Picasso: Er wagte etwas komplett Neues, auch auf die Gefahr hin, dass es gar nicht gefällt. Das erfordert Mut und Überzeugung von dem, was man macht.
ID: … und von sich selbst!
DK: Das stimmt!
Herzlichen Dank an Inka Drögemüller für das Gespräch und die allerbesten Wünsche für Ihre weitere Arbeit und eine riesige Reichweite!
Das Interview fand am 03.03.2016 im Café Schirn in Frankfurt statt.